Eine Bemerkung zur Person und ihrer Bilderwelt
Es gibt verschiedene Wege, um ein Ziel - oder auch mehrere -zu erreichen. Das gilt für alle Formen unseres Lebenswandels. Sich selbst als Künstler anzuerkennen erfordert jedoch zuallererst die Entdeckung des eigenen Ich, des Willens, ein Bestimmtes zu erreichen - einer Idee vom eigenen Weg und seinen Zeichen zu folgen, alle Kräfte aufzubringen, um nur das eine zu tun, was Not tut. Motschnig hat die dazu nötige Konzentration in jeder Bewegung seiner Anstrengung beibehalten, das Spiel der Zeichen und Farben wie ihrer Kombinationen ebenso erweckt wie auf ihre fundierenden Formen zurückverfolgt. Wenn er - als Fünfundzwanzigjähriger - behauptet: »Es gibt in der Kunst keine Weiterentwicklung«, so gibt die Spur seiner bisherigen Arbeiten einen Hinweis, wie diese - durchaus Zweifel erweckende - Behauptung sinnvoll verstanden werden kann. Wenn nämlich der Umfang aller Werke, die wir »Kunstwerke nennen, durch den Umfang aller möglichen Ideen bestimmt wäre, dann folgte diesen gewissermaßen selbstverständlich auch der Spielraum aller ihrer möglichen Formen.
In einem solch weiten Umfang präsentiert sich Motschnigs CEuvre der letzten drei Dezennien mit zwei Schwerpunkten, welche -verkürzend - die Bildwelt und ihr philosophischer Hintergrund heißen mögen. Daraus lassen sich Kennzeichen einer Entwicklung herleiten, an deren Anfängen das Bekenntnis steht, dass es nicht der Zweck der Kunst sein kann, immer neu zu sein; »es gibt in der Kunst keine Weiterentwicklung, es gibt nur eine Weiterentwicklung sozialer Umstände, und diese verändern die Kunst«1.
»Kleinlaut bekennt das Flüstern, dass es aus dem Schmerz der Verweigerung geboren. Mundtot wird gemacht, was zu laut sich kundgetan«, heißt es in Günter Brus’ »Die Geheimnisträger: Die Auszeit«. Von hier muss man ausgehen. Und in der Tat zeigt - als Beispiel - ein Bild der frühen Jahre die erschütternde Lage eines in die Verzweiflung getriebenen jungen Menschen, der in der Ausweglosigkeit dieser Welt sich verwirklichen und durchsetzen muss. Isoliert im Vordergrund stehend, das Kellnertuch über den im rechten Winkel gestreckten linken Unterarm gelegt, widerspiegeln Augen und Mund den Zustand seiner Seele. Der damals junge Künstler legte hier das existentielle Ausgesetztsein, die Einsamkeit des jungen Menschen so bloß, wie es eben sein Auge getroffen und überwältigt haben muss.
In den folgenden zwanzig Jahren lassen sich zwei Phasen und deren zentrale Themata unterscheiden: Die eine fügt sich - sicher auch inspiriert von außereuropäischen Einflüssen — in den Trend der Achtzigerjahre und benützt ausdrücklich die fragmentarische, meist in großen Flächen entwickelte »Moderne« dieser Zeit. Bezeichnend hierfür etwa »Shoes«, eine 160 x 190 cm lockere Acrylfläche (1985) - skizzierte Schuhe, jene hellfarbigen turnschuhartigen Exemplare, welche der Jugend eine Lauf- und Sprungwelt in heiterem Gezeitenwechsel erschlossen. Unter den vielen wird der eine Schuh in den Farben Lila, Rosa und Schwarz auf dem Hintergrund der größten der weißen Flächen zum Prototyp des freudigen Wandels einer Generation.
Die nächste Phase - wenn man sich diese Kennzeichnung erlauben darf - konzentriert sich so gut wie ausschließlich auf die Darstellung von Menschen, ihrem Charakter und ihren Haltungen, ihren Schmerzen, ihrer Erregung, ihrem Anschein, ihren Launen wie auch ihrem Geschick. So stehen »Muse« und »Messias« einander gegenüber, häufig dem »Auftrag« folgend, nur das Bedeutsame des Immanenten zu zeigen und eine Vollendung des Gedankens durch Minimalisierung zu verdichten. Ob »im Banne des kommenden Schmerzes« oder als »Selbstbildnis im Liegestuhl sitzend« - als Bleistiftzeichnung oder mit Graphitkreide auf Leinwand, so zeigen titellose Serien von Selbstbildnissen die Variationen des Leidens, den inneren Aufruhr, die überwältigende Last des Anspruchs, dem sich der Maler stellt.
Es gibt meines Erachtens keinen Zweifel, dass das Jahr 1988 eine der wesentlichen Verdichtungen der Linearität wie des Ausdrucks von Motschnigs Zeichnungen widerspiegelt, welche zum einen die Reduktion der Darstellung auf ein Minimum von Strichen herbeiführt, zum anderen im Bilde als einem Ganzen jedoch die adäquate Position unter den möglichen einnimmt. Wenn Motschnig sagt, dass Malerei »vorrangig Ausdruck von Befindlichkeiten« sei, notabene solcher, die »eigentlich als Landschaften zu definieren« seien2, so eröffnet er damit eine Perspektive, welche uns den Zusammenhang von Sein - Schein und Welt dadurch näher bringt, dass sie im Schein des unmittelbar Gegebenen einen Ausschnitt dieser Welt zeigt, wie es sonst nur das Wort zum Ausdruck bringen mag.
Fragt man sich, worin der wesentliche Bildcharakter des Zeichners und Malers Motschnig seinen fundamentalen, d. h. auch durchgängigen Grund findet, so ist man - so möchte man voreilig sagen -vornehmlich auf die Zeichnung verwiesen, mittels welcher die Wiederfindung des menschlichen Körpers in immer erneuten Typisierungen erprobt und dargestellt wird. Fragt man sich weiter, welchen Sinn das Bildwerk des Zeichners und Malers vornehmlich zeigen und darlegen möchte, so weist eine der möglichen Antworten zu Recht auf die Unmöglichkeit hin, das gesehene Bild - was immer es sei - anders zu sehen und zu erfassen denn als das, was es ist. Wenn wir uns zunächst darauf einstellen, ein Bild zu »beobachten«, dann gilt, wie Wittgenstein sich ausdrückt, dass das Beobachten nicht das Beobachtete hervorbringt, erzeugt. Kommt die Phantasie ins Spiel, dann mögen wohl Assoziationen die Deutung eines Bildes in vielfacher Weise erweitern, wenngleich auch hierfür die Angemessenheit den Möglichkeitsrahmen vernünftiger Beschreibungen und Deutungen bestimmt. Es ist auffallend, dass der Maler als Künstler von vornherein wider die Illusion »einer reinen Gegenstandslosigkeit« aufgetreten ist, dass er ohne Selbstzweifel zwar der Phase der Popart seine Reverenz erwies, sich jedoch sehr bald wieder seinem eigentlichen Anliegen zuwandte.
Waren es in den frühen Sechzigerjahren eher Studien wie z. B. an den eigenen Handflächen gewesen, so war Motschnig später mehr und mehr zu der Überzeugung gelangt, die schier unauflöslichen Grundgestalten menschlichen Daseins in offenbarer Einfachheit verlebendigen, d. h. aus sich selbst wachsende und sich eröffnende Gestalten erschaffen zu müssen. Man mag sich dabei Saul A. Kripkes erinnern, der in »Naming and Necessity« überzeugend darauf hingewiesen hat, dass eine Substanz auf folgende Weise als eine apriorische Wahrheit definiert wird, nämlich dass sie als »die Art, die von einem gegebenen Muster… exemplifiziert wird«, bestimmt werden kann und also so bestimmt werden muss.
Was aber bleibt, ist nicht die formlose wirkliche Idee, sondern die wirkliche Form, die man als die Realisierung einer Idee erkennt. Und in der Tat zeigen sich gerade die Zeichnungen Motschnigs als Exemplifikationen von Grundgestalten, auch wenn sie konkrete Bleistift-, Kohle- oder Graphitkreidezeichnungen sind, die den Anspruch klassischer wie moderner Graphik durch ihre Rücknahme jeglichen graphischen Scheins in der Perspektive des Minimalismus stützen.
Der Mensch sucht den Menschen, oder er meidet ihn; Künstlern, also auch Malern, ist der Mensch unumgehbar. So zeigen z. B. Motschnigs Zeichnungen aus dem Jahre 1988 unter dem Titel »Fallsüchtiger Strich« am Beginn eine Serie von Bleistiftzeichnungen, psychisch-optische Variationen möglicher und wirklicher Formgebung, um mehr über uns in Erfahrung zu bringen, als wir selbst über uns wissen. Überzeugungen wie Möglichkeiten werden den Urteilen über die variierenden eigenen Gesichter unterstellt. Es ist, als wollte der Künstler in der Auslotung vielfältiger, auch stark verzerrender Züge und Posen, die immer wieder an die Grenzen seiner Möglichkeiten reichen, nicht zuletzt die Dehnbarkeit der eigenen Psyche auf die Probe stellen. In diesem Kontext der Bloßlegung eigener Stimmungen auf dem Wege der Selbstfindung trifft sich der ehrgeizige künstlerische Anspruch mit den Variationen psychischer Analyse, um letztlich im Wirbel der Perspektive der Vielschichtigkeit des Ego ein wahres Gesicht zu akzeptieren.
In der bildenden Kunst der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ist dem Bildwerk Motschnigs zweifellos ein Platz eingeräumt, für welchen die ethische Stützung seiner Zeichnungen und Gemälde nicht belanglos ist. Ganz im Gegenteil ist es vielmehr eben diese, die den Ernst seiner Arbeit von ihren Anfängen an bestätigt - ich denke hier an das »Paar auf näl||ficher Straße« (Ölgemälde, 162 x 142 cm) 1976. So wie damals nicht die Maxime des Details noch der einschränkenden Akribie für den Künsder maßgebend war, so gilt auch für die Arbeiten der folgenden Jahre die Maxime, der Anstrengung der Wahrheit Recht zu geben, das heißt dem Spielraum der Freiheit seinen Platz zu lassen.
- Franz Yang-Močnik in: X. Internationale Malerwochen, Neue Galerie am Landesmuseum Joanneum. Graz 1975.
- So in einem Gesprach mit Renate Obud im Oktober 1994.