Renate Obud / Franz Yang-Močnik

Aufzeichnungen 2001

Hast du schon einmal daran gedacht, deine Gedanken und Erinnerungen aufzuschreiben?
Immer wieder. Ich habe es versucht, aber nicht durchgehalten oder die Notizen, die ich gemacht habe, verworfen. Ich habe nie das Bedürfnis, jemandem einen Brief zu schreiben. Ich schreibe so gut wie nichts.

Die bitdende Kunst ist eine Sache, die von der Unmittelbarkeit der Empfindungen lebt, und ich würde gerne aus deinem Munde hören, wie sich dir der Weg darstellt, den du gegangen bist in deiner Arbeit und als Individuum.
Zunächst waren triviale Impulse der Anlass, mich mit dem Zeichnen zu befassen, wenn ich mich an meine Kinderzeit erinnere; z. B. das aufkeimende Interesse an der Sexualität oder Ablenkung von seelischem Schmerz. Ja, ich habe in vollkommener Abwesenheit Motive in die Schulbank graviert. Als ich noch sehr klein war, etwa drei Jahre alt, hatten wir öfters Besuch im Sommer von Bekannten aus der Stadt. Der Bub dieser Familie, der wesentlich älter war als ich, hat mir Dinge gezeigt, für welche sich Kinder naturgemäß sehr Interessleren. Seitdem hatte Ich alles Mögliche, Personen wie Fahrzeuge, mit sexuellen Attributen ausgestattet.

Hattest du schulischen Erfolg, warst du ein guter Schüler?
Vorüber man nicht sprechen will, darüber kann man schweigen. Ich will aber auch deshalb nicht darüber sprechen, weil es über derlei Erfahrungen genug zu lesen gibt.

Du verzeihst, wenn ich dennoch ein wenig nachbohre, so ganz trüb wird es ja nicht nur gewesen sein.
Sicher nicht, das wäre auch ungerecht dem Leben gegenüber, und genau betrachtet war meine Kindheit bis zu meinem sechsten Lebensjahr, bevor wir vom Bauernhof meines Großvaters in die Stadt gezogen sind, eine überaus schöne Zeit.

Um noch einmal aufdie zuvor gestellte Frage zurückzukommen: Inwiefern sind deine frühen Erfahrungen in Bezug auf deine Arbeit so wichtig, dass du das immer wieder erwähnst?
Die Sache ist sicher so, dass Bildersprachen ja bekanntlich viel älter sind als die Schrift. Die Schrift bringt eine ganz andere Art der menschlichen Wachseinsbeziehungen mit sich. In ihr bezeichnet das Bild nicht mehr unmittelbar ein Sehding, sondern zunächst ein Won, etwas vom Empfinden bereits Abgezogenes. Seit meinen Volksschultagen wollte ich mich dem Auswendiglernenmüssen, dem mechanischen Nachvollzug entziehen. Es gab in den Vorderbänken eine Reihe von Mitschülern, die gleich einem aufgezogenen Gummimotor auf den Finger des Lehrers warteten. Ich will damit nicht sagen, dass ich meine Beklommenheit für etwas Höheres halte. Aber ich kann bei aller Faulheit, die mir eigen gewesen sein mag, den Vorwurf nicht gelten lassen, der mir in der Schule gemacht worden ist.

Und der war?
Blöd zu sein bis zur Grenzdebilität.

Empfindest du dich als etwas Besonderes?
Eigentlich schon, aber doch mehr im Sinne von sonderbar. Diesen Eindruck habe ich wenigstens von mir selber, wenn ich sehe, wie ich auf meine Mitmenschen wirke.

Also hast du dich mehr oder weniger bewusst, gedrängt durch bestimmte Umstände oder als Fluchtmöglichkeit, für die Welt der Bilder entschieden. Kann man das so interpretieren?
Es ist so gekommen, ja. Die Eindrücke zu Hause bei meinen Großeltern, das Leben in der Abgeschiedenheit ohne gleichaltrige Spielgefährten, nur unter Erwachsenen, haben sehr prägend gewirkt. Angefangen von den ethischen Vorstellungen der Erwachsenen in meiner Umgebung, meine Familien, väterlicherwie mütterlicherseits, sind allesamt tief katholisch, und das bäuerliche Leben im Rhythmus der Jahreszeiten und der Pflege der katholischen Feiertage, die sonntäglichen Kirchgänge, die Hochzeitsfeiern und Totenwachen und so weiter, das alles kontrastierte sehr stark mit dem, was später kam.

Kannst du genauer ausführen, was in dieser für ein Kind sicher sehr farbigen Welt des Landlebens, wie es In den 50er Jahren noch bestanden hat, für dich weitere wichtige Faktoren gewesen sind?
Ich bin ein ernstes, scheues und furchtsames Kind gewesen, widerspenstig und im Übermaß verletzlich durch kindische Boshaftigkeit. Ja, die Tatsache, dass man so viel Mittelalterlichem begegnete in diesem Landstrich nördlich von Völkermarkt in Kärnten, von wo ich herstamme, genauer aus dem Trixner Tal, die vielen Burgruinen und intakten Wehrkirchen. Von dieser zerklüfteten Landschaft habe ich mich eingeschlossen gefühlt, wie in einen Erlebnispark, einen romantischen Mikrokosmos mit all den merkwürdigen Individuen, den kropferten und buckligen alten Frauen, denen wir in der Kirche begegneten und die ihre Gebete im slowenischen Dialekt mit Rosenkränzen in Händen vor sich her lispelten. Ein Phänomen war auch noch, dass man allerorten Spottsüchtigen begegnete, welche mit einer merkwürdigen Obsession darum bemüht waren, ein möglichst veralberndes Diminuitiv als Anrede zu finden.

Apropos slowenische Sprache bzw. slowenischer Dialekt: Motschnig ist doch auch ein slawischer Name. Mir ist aufgefallen, dass du dich eigentlich mit MOC und Hacek und K zum Schluss, also MOCNIK schreibst, deine Bilder aber mit MOTSCHNIG in der deutschen Schreibweise signierst. Hat sich das zufällig so ergeben
Jetzt hab ich ja noch den Namen meiner taiwanesischen Frau vorangestellt, Yang, um deine Frage fertig zu beantworten: Meine Großeltern und Eltern väterlicherseits heißen definitiv Motschnig, so steht es in den Papieren und auch in den Urkunden meines Onkels; wer und warum die Schreibweise bei meinem Vater geändert hat, weiß ich nicht. Er hat seinen Namen immer mit Motschnig geschrieben. Natürlich spiegelt sich darin die ethnische Problematik Unterkärntens. Das ist auch der Grund, warum ich die doppelte Schreibweise meines Namens so gelassen habe.

Und die Option für die deutsche Schreibweise der Signaturen, ist das auch eine Parteilichkeit?
Nein, behördlicherseits hat man mir schon vor langer Zeit gesagt, dass das nicht in Ordnung ist. Verschiedentlich ist es mir auch schon als typische nationale Unsicherheit ausgelegt worden.

Offensichtlich verbirgt sich dahinter aber dennoch ein Problem für dich.
Ich denke, es ist in der Tat eines, ja. Es macht sicher einen großen Unterschied, ob ein Kind, das dabei ist, seine Muttersprache zu erlernen, ein Regelsystem intemalisiert, das abwechselnd mit Sprachfragmenten operiert, die mal aus der anderen Sprachsphäre stammen. Mein Bruder ist drei Jahre älter als ich, da hat es den Slowenischunterricht in der Volksschule noch gegeben; bis 1958, glaube ich, dann hat man ihn abgeschafft.

Bedauerst du das?
Ja und nein. Aus der aktuellen Situation ist das fast eine Uberflüssige Frage. Allen scheint es bewusst zu sein, wie nötig die Kenntnis der Sprachen seiner Nachbarn ist. Wenn ich mich an die Stimmung damals erinnere, weiß ich nicht, wie sehr eine Beibehaltung des Slowenischen als Unterrichtsfach den wenigen in die Hände gearbeitet hätte, die die Ressentiments am Leben erhalten wollen. Das ist zumindest eine Argumentationsweise. Und wie schwer sich eine Bundesregierung in der Einschätzung einer solchen Frage tut, hat man vor dreißig Jahren auch sehen können, wo es darum gegangen ist, die Ortstafeln zweisprachig zu beschriften, und man geglaubt hat, die der öffentlichen Institutionen konsequenterweise gleich mit dazunehmen zu können.

leb möchte nun zurückkommen auf das eigentliche Thema. Wann ist bei dir die Absicht manifest geworden, dich der Malerei beruflich zu widmen? Du hast ja eine Berufsausbildung als Tischler absolviert.
Ja, ich bin Tischlergeselle, habe nach meiner dreijährigen Lehrzeit aber nur ein Jahr in meinem Beruf gearbeitet. Ich war einer von diesen Schülern, schon in der Volksschule, die ein paar Besessene um sich hatten, die ihm für ein Jausenbrot oder ein, zwei Schilling eine Pferdezeichnung abkauften. Das Pferd, das war mein Lieblingstier. In der Physiognomie des Pferdes kannte ich mich aus, ich hatte dafür eine nahezu erotische Obsession entwickelt. Parallel dazu war ich fasziniert von der Muskulatur und dem Körperbau athletischer Männer, wie ja das Starksein überhaupt einen Hauptwunsch bei Knaben in diesem Alter darstellt. Die Affirmation durch die Lehrerschaft und von Seiten der Mitschüler war so groß, dass sich daraus allmählich ein starrköpfiger Künstlerspleen etabliert hat. Als mein Vater das erkannte, lange Zeit hat er geglaubt, es nicht ernst nehmen zu müssen, begann er meine Mutter zu instruieren, mir die Freude auszutreiben. Das war in der Hauptschulzeit. Hier war es dann ausgerechnet ein Lehrer, über dessen Methoden sich ganze Generationen von Schülern beklagt haben, der mir einschlägige Literatur hat zukommen lassen.

Das war aber nicht der, der auf Landeshauptmann Wagner geschossen hat?
Du meinst den Franz Rieser. Nein, aber den haben wir in der dritten Klasse bekommen.

Und…?
Ich bin mit ihm gut klargekommen. Wir hatten ihn in Mathematik, Geometrie, Zeichnen und Turnen.

Das war Mitte der 60er Jahre, da begann sich ja einiges zu tun in der Kultur der fugendlichen. Du hattest die Hauptschule beendet und begonnen, einen Handwerksberuf zu erlernen. Warum hast du dich nicht für eine Ausbildung als Künstler entschieden?
Wie gesagt, dem standen meine Eltern massiv entgegen. Abhauen konnte ich noch nicht, ich hatte keine Mittel dazu. Mein Vater hat zu mir gesagt: Musst halt in den sauren Apfel beißen, jetzt beginnt der Ernst des Lebens, jetzt ist es aus mit der Spielerei.

Was war dein Vater von Beruf?
Maurer. An der Euphorie rund um die Beatles oder Rolling Stones z. B. habe ich nicht teilgenommen. Der Kult der Gleichaltrigen um die Stars in den Bravo-Heften, das Sammeln von Posters, das Ausschneiden und An-die-Wand-Kleben war nicht meine Sache. Was ich mir sehr gewünscht, aber nie bekommen habe, waren modische Kleider. Schlurfschuhe und Röhrlhosen, wie mein Väter das verächtlich nannte.

Welche Vorbilder hattest du? Was waren das für Bücher, die dir dein HauptscbuBebrer gegeben bat?
Da war das bekannte Handbuch von Max Doerner Malmaterial und seine Verwendung im Bilde«. Adolph Menzel, Lovis Corinth, Beckmann, Klee hab ich sehr geliebt. Von Corinth kannte ich nur das Spätwerk, die Bilder mit dem Walchensee, die er nach seinem Herzinfarkt gemacht hat. Einzelne Werke Cezannes, wie etwa die Bilder mit dem Mont Sainte-Victoire vermochten bei mir damals Genichswahrnehmungen hervorzurufen, so beeindruckt war ich davon. Aber meine Gesamtbefindlichkeit war, ich würde sagen, wie die eines Zeuxis des siebzehnten Jahrhunderts. Die Malerei der Holländer, angefangen mit Breughel, Brouwer, Gabriel Metsus -Das kranke Kind- oder -Das Atelier- von Adrian van Ostade. Eine Dachstube, in der ein Maler vor seiner Staffelei sitzt, mit einer weiteren Person im halbdunklen Hintergrund und einem Lehrling beim Farbenanreiben. Eine sehr witzvoll gemalte Szene, bestehend aus bäuerlich anmutenden Individuen, die hier unbeirrt ihrer Leidenschaft nachgehen. Das waren grob umrissen die Hauptstücke meiner Vorbilder.

Was davon ist in deine Malerei eingeflossen? Ich meine, du hast dich in einem frühen Stadium der Aneignung von technischen Kenntnissen befunden. Mit welchen Materialien hast du gearbeitet?
Ölfarben sind sehr teuer, deshalb habe ich mich darangemacht, sie selber herzustellen, das war nicht schwer. Ich hatte ja auch den Anspruch, relativ großformatig zu arbeiten in einem satten Vonrag, da geht schon mehr Material auf.

Du hast auch einige Maler angeführt, deren Hauptthema die Landschaftsmalerei war. Wovon fühltest du dich mehr angezogen, von den malerischen Möglichkeiten, die die Landschaftsmalerei birgt, oder war es der Mensch?
Ich finde es gut, dass du jetzt gesagt hast, der Mensch, und nicht etwa die -Figuration- Als Gegenstand für die Graphik war und ist die Landschaft so gut wie uninteressant für mich. Gezeichnet habe ich damals wie heute sehr viel. Mein Interesse galt in erster Linie der Aneignung anatomischer Kenntnisse, insbesondere der unglaublichen Breite an Variationsmöglichkeiten, die das menschliche Antlitz bietet. Aber meine gemütsbedingte Beziehung zur Landschaft kann ich nicht leugnen. Das ist auch in meinen abstrakteren Arbeiten immer ein Kern. Die meisten Ölbilder, die damals entstanden, waren auch Landschaften. Das eigentliche Problem jedoch bestand immer in der Frage, wie positioniere ich eine Person oder Gruppe im Bild oder im Raum; ich kann es graphisch gut bewältigen, aber es stellt sich bald die Frage, was passiert mit der übrigen Fläche. Wenn man z. B. sein Interesse auf die Darstellung von Physiognomien konzentriert, dann wird die eingehende Befassung mit den Gesichtern zu einer elementaren Angelegenheit, dann entsteht sehr bald eine Dissonanz zwischen den zur Darstellung gebrachten Personen und dem sie umgebenden Raum bei der Arbeit. Beginnt man z. B. mit dem Umraurn, was eine Möglichkeit ist, dann entsteht daraus zumeist ein fertiges Bild mit all seiner verführerischen Kraft oder jungfräulichen Geschlossenheit, welche aufzubrechen und Personen darein zu setzen ein Loslassen von dem errungenen Terrain bedeutet und leicht zum Zusammenbrechen der gesamten Konzeption führt.

Und wie bist du diesen Schwierigkeiten begegnet?
Wie immer habe ich in solchen Situationen das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Die Folge davon ist eine Mobilisierung des Denkens bis hin zur Autoaggression. Den Weg der Diplomatie zu gehen habe ich allerdings nie in Erwägung gezogen, ich habe mich der Widerständigkeit des Mediums immer gestellt.

Was beißt das?
In der bildenden Kunst heute gibt es verschiedenste Optionen, die sich einem bieten. Beim Auftreten schwer zu bewältigender Widerstände kann man sich von Dingen, die einem bis dato lieb und teuer waren, einfach verabschieden durch Umorientierung.

Hast du dich umorientiert?
Ja, natürlich auch. Es gibt ja in diesem Zusammenhang, das darf man nicht vergessen, eine konservative Verkrampfung.

Und welcher Art war oder ist die Umorientierung bei dir?
Zunächst sind eine eingehende Analyse der Kräfte, die zur Ausbildung einer bestimmten Form oder Sprache führen, und die klare Definition eines Themas unerlässlich, sowie die Frage der Adäquatheit. Das barocke Hell-Dunkel, das mich als Modell damals wie heute sehr fasziniert, war natürlich eine notwendige Konsequenz der Verfasstheit einer Epoche. Ich fühlte, dass sich etwas in mir gegen diese Dumpfheit wehrte in der Eindimensionalität und Ausschließlichkeit meiner damaligen Optik. Ich bin an die Sache ja nicht vom Kopf aus herangegangen. Das wäre eine Verkehrtheit.

Eine Verkehrtheit in welchem Sinne?
In dem Sinne, als man sich der Wirkung eines Kunstwerks von vornherein entziehen und sagen würde, ohne einen schriftlichen Bauplan mit dem Ding nichts anfangen zu können.

Wohin bist du durch diese Einsiebten gelangt? Hast du dich distanziert von dem Genre?
Ich habe mich umgeschaut bei Picasso. Seine Deformationen haben mich angezogen und abgestoßen. Zuerst erschien es mir äußerst rätselhaft, wie ein Maler zu Konsequenzen schreiten konnte, das menschliche Erscheinungsbild einem solchen Kanon von Formen zu unterwerfen. Eine Malerei mit Baustellencharakter. Eine Malerei, die sich öffnet den Misstönen und Fremdbestandteile in ihr Vokabular einbezieht. Der Scherenschnittcharakter der Kompositionen und die tragende Rolle der Farben Schwarz und Blau - Schwarz für die Schatten der Personen oder Dinge im Vordergrund und Blau als Ausblick in die Weite. Eigentlich alles, was man braucht, um Raum ohne Zentralperspektive herzustellen. Ein paar Schlagschatten mit einigen blauen Stellen als Ausblick ins Freie. Das Prinzip des Hell-Dunkel, nur mit schärfer voneinander abgetrennten Bezirken, das war der wesentlichste formale Aspekt am Kubismus könnte man meinen. Es hätte genauso gut auch einem gewitzten Kind in der Zeichenstunde einfallen können, wollte man das formale Äußere so weit in den Vordergrund stellen. »Ein Bild ist nicht von vornherein fertig und festgelegt. Während man daran arbeitet, verändert es sich im gleichen Maße wie die Gedanken. Wenn es fertig ist, verändert es sich immer weiter, entsprechend der jeweiligen Gemütsverfassung desjenigen, der es gerade betrachtet. Das ist ganz natürlich, da das Bild nur Leben hat durch den Menschen, der es betrachtet- (Picasso, in: Wort und Bekenntnis).

Du sagtest eben -wollte man das formale Außere so weit In den Vordergrund stellen- Welche Betrachtung erscheint dir angemessener?
Es ist eine Tatsache, dass der Kubismus eine stark formbezogene Kunst ist.

In welcher Weise? Ist das nicht notgedrungen jede Art von Kunst?
Ja schon, aber es liegt hier doch eine Besonderheit vor, die so schroff in der Geschichte der europäischen Malerei, glaube ich, nie in Erscheinung getreten ist - nämlich der Rekurs auf ein naives Formenrepertoire. Seit Gauguin gibt es eine Tendenz der Rückbesinnung, ein Bedürfnis nach Einfachheit, die die hochentwickelte Psychologie der spätbürgerlichen Porträtkunst und ihre Dekadenz perhoresziert; die nach Einfachheit strebt und Möglichkeiten freieren Disponierens, insbesondere im Umgang mit Proportionen, sucht. Etwa am Beispiel der afrikanischen Kunst Das war einfach fällig, um den Beschränkungen akademisch normierter Kategorien zu entkommen. Diese Hinwendung zu einer entwicklungsgeschichtlich früheren, nämlich symbolischen Ausdrucksform hat ihren Stellenwert als Erneuerung, als Fortschritt. Eigentlich ein Paradoxon.

Der Rekurs auf das Archaische und sein Stellenwert für einen Neubeginn!
Fundamentalistisch gedacht gibt es Ansatzmöglichkeiten auch innerhalb der abendländisch-christlichen Kunst - ich denke an die Ausstattung romanischer Kirchenportale mit ihren reich besetzten Figuren oder an die unsagbar innige Kraft und unschuldige Tiefe der Form gotischer Skulpturenkunst.

Ja. so gesehen ein kühner Exotismus.
Aber die Künstler begannen um die Jahrhundertwende selbst auch als Sammler in Erscheinung zu treten. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass aufgrund der besonderen Rotte Frankreichs exotische Kunstwerke zu bekommen waren, wie ja auch schon Van Gogh japanische Holzschnitte gesammelt hat. Und vorher schon das Rokoko mit seiner Wertschätzung für chinesisches Porzellan und Innenraumausstattungen. Na ja, diese Neuentdeckungen und Erwartungen, die mit diesen verbunden gewesen sein mochten… aber lassen wir das. Ich möchte jetzt doch wieder das Gespräch einschränken auf deine frühe Grazer Zeit. Du bist 1970 aus Völkermarkt, einer kleinen Stadt inKärnten, nach Graz gekommen mit dem Ziel, auf die Kunstgewerbeschule zu gehen. Wie ich weiß, wurde deine Bewerbung zurückgewiesen und du konntest dich entscheiden, als Gastschüler bei Prof. Kogler an der Meisterklasse für Malerei zu bleiben. Wie war dieser Neubeginn für dich? Natürlich waren meine Erwartungen enttäuscht. Das hat sich dann aber gelegt, als ich aus dem Munde des Klassenvorstands die Gründe erfahren hatte, warum sie mich nicht aufgenommen haben. Er hat gesagt, dass es an der Schule noch so einen komischen Vogel gibt, der alles zeichnen kann, aber wenn man ihm eine Schüssel aus der halben Draufsicht zu zeichnen gibt, macht er aus der Ellipse noch immer einen Zwetschkenkern. Ich kannte die Arbeiten dessen, der gemeint war.

Inwiefern war diese Äußerung für dich so, dass sich deine Enttäuschung gelegt bat?
Na ja, zum einen war es immerhin eine Anerkennung und andererseits offensichtlich eine vorgeschobene Behauptung, mit verbildeten Leuten nichts anfangen zu können. Aber dann müssten sie die Schule ja zusperren, denn Unverbildetheit durch Desinteresse kann ja keine Voraussetzung sein.

Welchen Eindruck hattest du von Prof. Rogler bzw. vom Unterricht an der Schule?
Ich fühlte mich natürlich unheimlich entlastet, ich war ja zu nichts gezwungen, konnte meinen Vorlieben nachgehen. Im Vergleich mit dem Arbeitsalltag als Tischler. Ich hatte permanent ein schlechtes Gewissen wegen des Maßes an Freiheit, das sich mir nun plötzlich bot, nachdem ich meine Eltern verlassen hatte. Zu schön, um wahr zu sein. Der Unterricht war völlig zwanglos, die Leute sind mit der Whiskyflasche um den Professor gesessen. Und der hat Geschichten erzählt.

Zum Beispiel?
Seine umgedrehte Rassentheorie war überall im Spiel, und er verstand das sehr gut zu illustrieren anhand seiner Erlebnisse beim deutschen Militär zum Beispiel. Oder wie sich der Piefke als Urlauber in den Mittelmeerländern benimmt. Und wie leicht er bei seinen zahlreichen Israel-, Griechenland- oder Italienaufenthalten von den Einheimischen mit deren Landsleuten verwechselt worden ist.

Hast du ihn gemocht?
Ja, sehr! Was er vertreten hat, hab ich sehr bereitwillig aufgenommen. Seine Betrachtung der Dinge war ungemein ironisch, aber auch ebenso vereinfachend, aber das habe ich nicht sehen wollen. Dieser persiflierende Blick auf die Welt hatte für mich eine sehr befreiende Wirkung. Allmählich musste ich zur Kenntnis nehmen, dass er sich vehement gegen mich richtete. Ich war sozusagen das Würstl vom Dienst - ich besorgte ihm die täglichen Schinkensemmeln und seine Stange Kent Er trug immer einen Diplomatenkoffer mit sich, darin befanden sich eine Stange Kent und ein oder zwei Schinkensemmeln, er trug immer einen weißen oder schwarzen Rollkragenpullover, eine Jerseyhose, und wenn er saß, konnte er mit den Beinen keine Ruhe geben, er schlug abwechselnd das eine Bein Uber das andere und hoppelte mit diesem unablässig. Ich hab noch nie jemanden so schnell nach einer Zigarette greifen sehen, wenn er merkt, dass er Photographiert wird.

Konntest du künstlerisch profitieren von deinem Aufentbau an der Schule?
Ja, absolut, ich hatte ja Zeit, Material und eine motivierende Arbeitsatmosphäre.

Wie war dein Verhältnis zu den übrigen Schülern der Meisterklasse?
Ich hatte keine Beziehung zu ihnen, ich war ein Fremdkörper, aber das lag vor allem an meinem besonderen Verhalten. Ich war zu der Zeit noch extrem verwickelt in meine Probleme und sehr schüchtern. Dazu kam, dass ich außerordentlicher Schüler war. Mit Alkohol zum Beispiel hatte ich keine Erfahrung und war auch sonst extrem brav. Das war auch einer der Gründe, warum der Rogler mit mir nichts anfangen mochte. Er hat mir vorgeworfen, ein -Primerl- zu sein und mental-habituell ein kitschig-weibisches Verhalten an den Tag zu legen. Er hat mir geraten, mich über diesen Zustand -drüberzutrinken-. das sei die beste Therapie.

Hast du dich daran gehalten?
Nein, aber er und seine Meisterschüler. Eines Morgens in der Klasse, ich saß schon eine Zeit lang an meiner Staffelei, hatte ein großes Selbstbildnis in Arbeit, in Kugelperspektive gesehen. Der Professor Rogler war eben gekommen, und der Kaffee wurde serviert - -getauft-, das heißt mit einem Schuss Schnaps. Auf seine Anweisung hin bekam ich auch einen gereicht. Als ich mich später vom Sessel erheben wollte, hat es mich umgehauen, und ich bin erst am Nachmittag auf dem Bett des Aktmodells wieder aufgewacht.

Wie verbrachtest du die übrige Zeit, die Abende. Wo bist du in Graz hingegangen?
Ich wohnte im Kolpinghaus und war die erste Zeit sehr eng mit dem Sohn eines türkischen Teppichhändlers befreundet, der zunächst kein Deutsch sprach. Dieser hat dann in drei Monaten so gut Deutsch gelernt, dass er sich tadellos verständigen konnte. Gemeinsam gingen wir einfach in der Stadt spazieren, in der wir uns noch nicht auskannten. Das Zimmer habe ich mit einem Fohnsdorfer geteilt, der Maschinenbau gelernt hat und aus einem Heim für Schwererziehbare gekommen war. Meist war er nicht da, aber wenn er gekommen ist, musste ich als Trainingsobjekt für seine fernöstlichen Kampfsportübungen und Schlagtechniken herhalten. Er hatte immer irgendwelche Jobs, ein Auto und unzimperliche Frauen um die vierzig. Er war absolut militaristisch drauf und nahm mich einmal mit zu Schießübungen mit leichten Handfeuerwaffen am Militärschießstand auf dem Steinberg in der Nähe von Graz. Mit ihm arbeitete ich als Möbeltransporteur für einen Kalifornier der in Graz antike Möbel kaufte, die es in Mengen gab, und diese von uns in eine aufgelassene Mühle nach Kirchbach bringen ließ. Das war ein großer zweistöckiger Bau und zum Bersten voll gerammelt. Jeden Monat kam ein Engländer, der Spezialist für das Verpacken von Gütern in Schiffskontainern war, und machte einen Kontainer so voll, dass keine Lücke mehr übrig blieb. Im Frühjahr 1971 verließ ich die Ortweinschule, nachdem mir der Klassenvorstand vorgeworfen hatte, Material gestohlen zu haben, die Spanplatten und Ölfarben seien für außerordentliche Hörer nicht da und sein Vortrag sein geistiges Eigentum.

Konntest du etwas verkaufen von den Sachen, die du gemacht hast? Wie lange bist du im Kolpinghaus geblieben?
Alle besseren Bilder habe ich um billiges Geld hergegeben. Manchmal konnte ich für Freunde eine Porträtzeichnung machen. 1971 mietete ich in der Schillerstraße ein Zimmer. Es gab immer das Problem, nicht genug Platz zur Verfügung zu haben und kein Arbeitsmaterial. Ich war in sehr schlechter Verfassung, ständig unterwegs am Abend und hatte einen Job als Bote am Vormittag. Das Schillerhofcafe, die Lokale Lückl und Kodolitsch waren die wichtigsten der Szene. Im Schillerhofcafe trafen sich die Ideologen von der -Roten Leselampe-. Dieses Geraune war natürlich stärkster Tobak und der damit einhergehende Elitärismus, allerdings verbunden mit einem messianischen Verbrüderungspathos. Ein Gefühl, das sozusagen das Medium dieser Zeit darstellte. Man konnte in diesem Milieu jemandem begegnen, dessen Schwäche es war, sich auf die Besonderheiten unterschiedlichster Menschen einzulassen, sein Spiel zu spielen mit Ängsten, Sprache oder Denkmustern.

Wem zum Beispiel?
Dem mittlerweile verstorbenen Autor und Soziologen Gunter Falk.

Unter welchen Umständen hast du ihn kennen gelernt?
Eigentlich auf der Straße. Er hat mich einmal um eine Zigarette angeschnorrt, ein anderes Mal bin ich ihm zu später Stunde im »Jazz bei Freddy- - das Lokal war schon leer - wortlos gegenübergesessen. Er machte von Anfang an einen besonderen Eindruck auf mich, ich machte ihn offenbar nachdenklich, ich wusste nicht, was ich von ihm halten sollte. War er schwul (er war es natürlich nicht), kriminell oder nur einfach betrunken? Seine Mimik, seine Bewegungen verrieten, wie stark Affirmation oder Gleichgültigkeit bei ihm ankamen. Er benützte keine Masken, brauchte das auch nicht. Aber das sah man erst auf den zweiten Blick. Diese Begegnungen waren für mich der Anstoß, meine Lesefaulheit zu bekämpfen.

Wer waren deine bevorzugten Autoren?
1967 lag ich zwei Monate lang mit einer Knochenepiphysenlösung im LKH Klagenfurt auf der chirurgischen Abteilung. Da gab es eine Handvoll Bücher in unserem Zimmer, Erich Maria Remarques »Im Westen nichts Neues«, »Der Weg zurück« und »Schatten im Paradies«. Bei der Lektüre war ich weggetreten wie ein Kind im Kino. Ein Zustand, der ein paar Jahre danach nicht mehr zu realisieren war. Wilhelm Reich war in aller Munde. Seine Charakteranalyse und die sexuelle Befreiungsreligion. Das rann hinein in die Köpfe und machte aus allen einschlägige Experten. Die Latte, die ich mir legte, war ein wenig zu hoch. Ich blieb total fixiert auf politische und philosophische Sachen, die für mich gar nicht richtig zu bewältigen waren. Daraus entwickelte ich so etwas wie eine Nosophobie, weil ich zu dem Schluss kam, nicht richtig zu ticken. Ich konnte nicht mehr schlafen, rauchte viel zu viel und geriet in eine Dauerdepression.

Franz Rogler war in der Steiermark in den 50er und 60er Jahren ein sehr bedeutender Maler. Er hatte sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs in die Schweiz abgesetzt und verkehrte in Basel mit den Künstlern der Gruppe 33 und soll durch diese in Kontakt mit Max Ernst, Hans Arp und Meret Oppenheim gekommen sein. Hat er darüber etwas erzählt?
Eigentlich nicht gerade viel. Als ich zu ihm kam, wusste ich davon ja nichts und war dann sehr überrascht, wie er erzählt hat, dass er durch seine ehemalige Lebensgefährtin, die Tochter eines Schweizer Suppenwürfelherstellers, einmal mit Max Emst und Arp zusammengetroffen ist. Da war eine Geschichte, wo es darum gegangen ist, dem Anspruch des Chefs von Knorr nach möglichst naturgetreuer Darstellung der Goldaugen auf der Suppe nachzukommen, da er für diesen als Gebrauchsgraphiker gearbeitet hat und dessen Qualitätsvorstellungen nicht befriedigen konnte.

Welche Bedeutung hatte für dich die Begegnung mit dem Surrealismus? Hattest du dich für die Künstler des Surrealismus interessiert, bevor du nach Grazgekommen bist?
Eigentlich nicht Ich möchte betonen, dass für mich die graphischen Eigentümlichkeiten des Handschriftlichen, die Nervigkeit der Linienführung, schon damals eine ganz zentrale Rolle spielten. Zwar hatte ich meine Fühler nach anderen Sachen ausgestreckt, Bücher über den Dadaismus gelesen, vermochte die Pinselarbeit aber nicht befriedigend auszuagieren; es blieb alles fragmentarisch. Die wenigen Bilder, die ich gemacht habe, waren in der so genannten Stupftechnik ausgeführt, die an der Meisterklasse im Kurs war. Der gestisch-pastose Auftrag der Farbe wurde von Rogler als -Schmalzelei- bezeichnet. So hatte ich aber begonnen und meine Fortschritte gemacht Ich fühlte mich von der Person dominiert, er hat einen Personenkult mit sich inszeniert. Dass ich nicht konstant auf seiner technischen Linie geblieben bin, wollte er mir nicht verzeihenobwohl ich bereit war, mich zu verleugnen. Gesehen habe ich mich als Realisten. Nachdem ich mich mit Picasso sehr gründlich beschäftigt hatte, habe ich mich mit seinem Argument, dass es keine Superrealität geben kann, dass eben alle Phänomene, auch wenn sie noch so bizarr erscheinen, Teil der Realität sind, abgegrenzt von diesen nebulosen surrealistischen Vorstellungen, wie sie zur Zeit der Blüte der Phantasmagorien hier bei uns im Kurs waren.

Würdest du auch Rogler als einen solchen klassifizieren?
Würde ich nicht! Übrigens erinnere ich mich an eine Äußerung Picassos, als er auf die Frage, auf welche Impulse er sein Bedürfnis nach Disproportionalität seiner figuralen Schöpfungen insbesondere der 20er und 30er Jahre zurückführen würde, geantwortet hat, dass er als Kind eine von hohem Heber begleitete Krankheit gehabt habe und die Wahrnehmung der Objekte sich in diesem Zustand beängstigend verzerrte. In diesem Zusammenhang erscheint mir auch interessant, dass er sich als entschiedenen Antirationalisten bezeichnet hat. Es ist auch bekannt, dass seine schulischen Leistungen, was das Rechnen betrifft, miserabel gewesen sind.

Welche Schlussfolgerungen ziehst du daraus?
Das ist etwas, das mein Wertgefühl wesentlich gestützt hat, da ich eine Parallelentwicklung durchgemacht habe, die auch so einseitig und traumhaft verlaufen ist. Ich erinnere mich sehr gut an die Herangehensweise an Vorgaben meiner Mitschüler im Zeichenunterricht und meine Befremdetheit darüber—über das gewissermaßen bedenkenlose Fortschreiten im Kombinatorisch-Kompilatlven bzw. eine »vernünftige« Arbeitsteiligkeit. Weil darin einer Eigentümlichkeit, wie ich meine, eine völlig untergeordnete Rolle zukommt. Ich würde sagen, dem versonnenen Flanieren mit dem Material. Oder philosophisch gesagt, ein Erlösungsritual, ein Erlösungsgedanke als Leitmotiv, um vom Drängen normativer Zwänge loszukommen. Das Rad der Iktion zum Stillstand zu bringen, mit Schopenhauer gesprochen. Die Surrealisten nannten das den privilegierten Augenblick, in dem ein Fenster aufgestoßen wird, durch welches sich für einen Moment das erheischte Eigene als das erkannte Andere erblicken lässt.

Ja, die Ablehnung der direkten Malerei bei Max Ernst und die Anwendung der Colfagetecbnik, seine Bildfindungsmetboden mittels der Frottage und Grattage, die Techniken der Evokation. Du hattest vorhin deine Präferenz für das artifiziell Handgemachte, deine Entdeckung der kalligrapbiscben Besonderheiten der Linienführung erwähnt. Fühltest du dich dem aus deiner subjektiven Tradition heraus so verpflichtet, oder bist du dieser Einsichten nicht genug innegeworden zu der Zeit, sodass du in diesem Sinne hättest tätig werden können. Oder gab es etwas anderes?
Vor allen Dingen gab es ein Chaos in mir, ich war völlig außengeleitet. Auf der anderen Seite wusste ich, es war Schnee von gestern. Ich konnte in der Malerei keinen Tritt fassen, der Materialaufwand usw. So blieb mir eben das Zeichnen. Die Bedeutung der Malerei war ja weitestgehend marginalisiert im Sinne der erwähnten Prioritäten. Es gab die geometrischen Abstrakten mit ihren Großformaten, das vornehme Weiß, die Autorität der leeren Fläche, die Askese bis zur zwanghaften Säuberlichkeit des Modernismus und die Op-Art Auf der anderen Seite das politische Engagement mit seiner programmatischen Verweigerung des Gebrauchs der Ölfarbe, dem Synonym für eine reaktionäre Grundhaltung. Der Kollektivierungsdiskurs der Latzhose ngroupies, Gruppendynamik, selbstverwaltete Produktionsprojekte usw. Die Evokationsmethoden bei den experimentellen Malem des Surrealismus wie Max Ernst treten abgekoppelt von tradierfön Formen der Bildnerei in Erscheinung, tatsächlich jedoch ist dieses Prinzip immer wirksam und reicht bis Leonardos Sfumato zurück. In der Ölmalerei kommt es sehr darauf an, in welchem Grade dieses Material als ein Medium für sich begriffen wird. Der Maler Francis Bacon hat das sehr schön beschrieben. Im Suchen verwandelt sich das Medium in Form - oder man scheitert. Aus der Verschränkung von Medium und Form ergibt sich dann, was gelungene Kunstwerke auszeichnet, nämlich unwahrscheinliche Evidenz. Es ist auch bekannt, dass sich im Unbewussten bei Personen mit entsprechender Prädisposition Prozesse abspielen, die in dem Moment, wo das Resultat einer Operation sich als redundant abzeichnet, einen Zerstörungsimpuls wachrufen, um das Spiel weiterlaufen zu lassen. Eine solche Disposition widerspricht natürlich weitestgehend der -intelligenten- Teleonomie, wie sie z. B. in der Vorgangsweise eines Architekten nötig ist, und markiert deren Kehrseite.

Und jene Kehrseite bat dich gereizt?
Ich bin über die Graphik und den Eindruck von afrikanischen Masken dorthin gelangt. Die vielen Köpfe, die ich zeichnete, hatte ich ins Maskenhafte, dann ins Geometrische zu reduzieren begonnen. Eines Tages fand ich auf einem Grundstück eine gefällte Eberesche von außerordentlicher Qualität. Ich musste damit etwas machen, ich konnte dieses Holz nicht liegen lassen. Der Stamm war bereits aufgeschnitten, ich hatte sofort einige dieser Stücke zu mir nach Hause geholt und begonnen, topfhelmartige Objekte daraus zu machen, mit Sehschlitzen wie Schießscharten, in deren Ränder ich Bleiadern einarbeitete, indem ich nutartige Auskerbungen an ihnen vornahm, um das Blei darein zu gießen und nachträglich plan zu hobeln. Zuvor musste ich die Stämme allerdings aushöhlen, das war Knochenarbeit. Ich fühlte mich wie der erste Mensch. Alle hatten mir auf die Schulter geklopft und gesagt, das ist die Wahrheit, alles Handarbeit, das bist du. Für solche Menschen musste ein Architekt, den sie mit der Planung eines Baus betrauen, den auch selber ausführen.

Das war Mitte der 70er Jahre. Was für ein Verhältnis hattest du zur Kunst von Beuys, Mühl und dem österreichischen Aktionismus mit seiner Körperbezogenbeit?
Die Aktivitäten der österreichischen Aktionisten habe ich immer nur durch die Brille, die ein spezifisches Zustandsbild zeichnet, wahrgenommen. Als Polarisierung von werthaltungen, als Auflehnung - was eigentlich ein von den Medien geprägtes Bild war, da ja diese immer nur über die Skandale berichtet haben, die Intentionen dahinter aber nicht sichtbar wurden. Andererseits hatte die Hybris der Rebellion gegenüber den Wertvorstellungen einen Charakter, der verriet, dass jene, die sich das trauten, einen verzweifelten Kampf führten gegen etwas, das ihre Herkunft und Erziehung markiert.

Welche Wertvorstellungen?
Die kunststürmerische Pose der Neuen Linken hat sich des Dadaismus wieder erinnert in den Happenings und Körperdadaismen, eines renovierten kynischen Bewusstseins, das sich gar nicht gegen die -bürgerliche Institution Kunst- wandte. Dada wandte sich gegen die Kunst als Sinnstiftungstechnik, gegen Semantik jeglicher Art. Spontisprüche wie -Es ist nicht genug, kein Konzept zu haben, man muss auch unfähig sein, es auszuführenwaren bezeichnend für diese Haltung. Dieser subjektive Witz erinnert an die Gesinnung Serners, eines Dada-Dichters, von dem der Vers -Günstiger Vorschlag- stammt: »Man figuriere sich vor dem Einschlafen mit heftigster Deutlichkeit den psychischen Endzustand eines Selbsttöters, der durch die Kugel sich endlich Selbstbewusstsein einloten will und dieser suizidale Zug erinnert wiederum an einige Österreicher. Dada ist die große Subversion, sie tritt als Richtung auf und ist keine Richtung … -Ich möchte dieses Verfahren- - sagt Sloterdijk in seiner -Kritik der zynischen Vernunft- über die Dada-Methode — »ein Verfahren der reflektierten Negation nennen, ein Nonsens-Verfahren. Wo immer feste Werte, höhere Bedeutungen und tieferer Sinn auftauchen, probiert Dada eine Sinnstörung. Dada liefert die explizite Technik der Sinnentäuschung, und damit steht es in einem breiten Spektrum von semantischen Zynismen, mit denen die Entmytht»logisierung der Welt und des metaphysischen Bewusstseins in ein radikales Endstadium gelangt. In diesem Sinne- - so Sloterdijk weiter - «führt eine unterirdische Linie durch die Hasskultur unseres Jahrhunderts - von Dada bis zur Punk-Bewegung und zur nekrophilen Automantengestik des New Wave. Hier meldet sich ein Manierismus der Wut, die dem großen toten Ich einen Sockel gibt, von dem herab die ekelhaft-unverständliche Welt sich verachten lässt. Es ist dringend nötig, diese reflexiven Räume des modernen unglücklichen Bewusstseins zu beschreiben, weil sie es sind, in denen auch das faschistische Phänomen, soweit es militanter Nihilismus ist, sich aufbaut.-

Dr. Renate Obud, Studium der Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft, Germanistik und Publizistik, 1983 Promotion an der Universität Wien; Lehrgang für Kulturelles Management an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Wien, freie Mitarbeit ORF Wien, Wiener Festwochen (1979-1981); Geschäftsführung Galerie Heike Curtze, Wien (1984-1985); Forschungsprojekt BMfWF (1986); Dramaturgie Studiobühne Villach (1988-1991); seit 1991 Leitung der Galerie der Stadt Villach.